Bergluft
Mein Vater hat mir die Sehnsucht nach Bergluft vererbt. Er verwöhnte uns jahrelang in unserer Kindheit mit Ferien in Klosters im oberen Prättigau. In den 1960er Jahren genossen wir – meine Schwester, Vater, Mutter und ich – bis zu sechs mal pro Jahr einen Aufenthalt im Hotel Silvretta. Mitten in der bezaubernden Bergwelt von Parsenn-Weissfluhjoch und Silvretta-Vereina.
Meine Erinnerungen an diese Jahre bestehen aus glitzerndem Schnee, Sonne und Bergspitzen, duftender Alpenflora, dem Bedientwerden im Hotel und einer kleinen Gruppe von jungen Menschen. Das Leben erschien sorgenfrei, leicht, unbeschwert, hell, sprudelnd und voller kostbarer Momente mit unseren Freunden.
Dazu gehörte auch der Sohn des Hoteliers. Jürg. Ich war total verschossen in diesen süßen, zarten Jungen, der sich über die Jahre in einen gutaussehenden Jüngling entwickelte. Haselnussfarbene Augen mit goldenen Punkten, weiche Lippen, ein gewinnendes Lächeln, meist zu Späßen aufgelegt.
Meine jugendlichen Träume drehten sich um ihn, um eine gemeinsame Zukunft im Hotel. Somit tat ich alles, um auch ausbildungsmäßig wenigstens einigermaßen darauf vorbereitet zu sein: kaufmännisches Diplom mit Praxis in einer Großmetzgerei, auch im Verkauf. Hoffnungsvoll blauäugig – anders kann ich dies heute nicht nennen.
Das tiefgehendste Erlebnis jedoch war die Erfahrung von Euphorie. Mit etwa 13 Jahren fuhr ich per Zug nach Klosters. Der Rest der Familie war mit dem Auto unterwegs. Nach meiner Ankunft am kleinen Bahnhof von Klosters-Platz ging ich zu Fuß die Bahnhofstrasse hinunter zur Landstrasse. Ich konnte die Bergluft und die Holzfeuer riechen - und da geschah es: Beim Überqueren der Brücke über die Landquart kam von ganz tief in mir drinnen ein überschäumendes, prickelndes, alles umfassendes, überwältigendes Gefühl einer nicht gekannten Seligkeit hoch, das mir den Atem nahm. Ich war zuhause. Ich war da, wo mein Herz und meine Seele lebten.
Glückliche Jugendjahre. Die Zeit blieb jedoch nicht stehen, und Klosters rückte in den Hintergrund. Von einem Freund erfuhr ich ca. 1972, dass Jürg sich vom Hotelleben abgewendet hatte und Schafhirte geworden war. Oh wie konnte ich ihn verstehen. Auch ich wurde in meiner späteren Jugend des Trubels der Gesellschaft und des Luxuslebens einer anderen Generation überdrüssig. Ich schrieb eine kleine Geschichte mit dem Titel Schafhirte.
Das Leben floss weiter, wie es das immer tut. Heute, gute 50 Jahre nach den herrlichen Klosters Jahren, sind die Erinnerungen erneut wach geworden. Sie waren nie vergessen, immer kostbar, doch zur Seite gestellt auf einem Regal ganz hinten im Zimmer. Sie sind heute genauso farbig und prickelnd wie damals. Doch eine neue Erkenntnis ist nun entstanden:
Sono tempi passati.
Those were the days.
Es war einmal.
Ich liebe diese Erinnerungen. Ich liebe alles daran. Die Sorglosigkeit, das Hotel, das Dorf, die Bergwelt, die Bergluft, den Spaß, das Skifahren, das Tennisspielen, das Wandern, im Silvretta Park sitzen mit einer Cola, das Spielzimmer im Hotel, unsere Gruppe von Jugendlichen, Jürg.
Aber: Es sind die Erinnerungen, die ich liebe. Nicht das, was heute dort ist oder wie die Menschen von damals heute sind.
Ein Schriftsteller hat dies etwa so ausgedrückt: Es ist eine überwältigende Erkenntnis, wenn man sich klar wird, dass man nie mehr in den glitzernden Zeiten der Jugend leben kann.
Und auch das ist so, wie es eben sein muss.
Trotzdem werde ich meinen Lebensabend mit meiner Schwester in Klosters verbringen. Der Bergluft wegen.
Mein Vater hat mir die Sehnsucht nach Bergluft vererbt. Er verwöhnte uns jahrelang in unserer Kindheit mit Ferien in Klosters im oberen Prättigau. In den 1960er Jahren genossen wir – meine Schwester, Vater, Mutter und ich – bis zu sechs mal pro Jahr einen Aufenthalt im Hotel Silvretta. Mitten in der bezaubernden Bergwelt von Parsenn-Weissfluhjoch und Silvretta-Vereina.
Meine Erinnerungen an diese Jahre bestehen aus glitzerndem Schnee, Sonne und Bergspitzen, duftender Alpenflora, dem Bedientwerden im Hotel und einer kleinen Gruppe von jungen Menschen. Das Leben erschien sorgenfrei, leicht, unbeschwert, hell, sprudelnd und voller kostbarer Momente mit unseren Freunden.
Dazu gehörte auch der Sohn des Hoteliers. Jürg. Ich war total verschossen in diesen süßen, zarten Jungen, der sich über die Jahre in einen gutaussehenden Jüngling entwickelte. Haselnussfarbene Augen mit goldenen Punkten, weiche Lippen, ein gewinnendes Lächeln, meist zu Späßen aufgelegt.
Meine jugendlichen Träume drehten sich um ihn, um eine gemeinsame Zukunft im Hotel. Somit tat ich alles, um auch ausbildungsmäßig wenigstens einigermaßen darauf vorbereitet zu sein: kaufmännisches Diplom mit Praxis in einer Großmetzgerei, auch im Verkauf. Hoffnungsvoll blauäugig – anders kann ich dies heute nicht nennen.
Das tiefgehendste Erlebnis jedoch war die Erfahrung von Euphorie. Mit etwa 13 Jahren fuhr ich per Zug nach Klosters. Der Rest der Familie war mit dem Auto unterwegs. Nach meiner Ankunft am kleinen Bahnhof von Klosters-Platz ging ich zu Fuß die Bahnhofstrasse hinunter zur Landstrasse. Ich konnte die Bergluft und die Holzfeuer riechen - und da geschah es: Beim Überqueren der Brücke über die Landquart kam von ganz tief in mir drinnen ein überschäumendes, prickelndes, alles umfassendes, überwältigendes Gefühl einer nicht gekannten Seligkeit hoch, das mir den Atem nahm. Ich war zuhause. Ich war da, wo mein Herz und meine Seele lebten.
Glückliche Jugendjahre. Die Zeit blieb jedoch nicht stehen, und Klosters rückte in den Hintergrund. Von einem Freund erfuhr ich ca. 1972, dass Jürg sich vom Hotelleben abgewendet hatte und Schafhirte geworden war. Oh wie konnte ich ihn verstehen. Auch ich wurde in meiner späteren Jugend des Trubels der Gesellschaft und des Luxuslebens einer anderen Generation überdrüssig. Ich schrieb eine kleine Geschichte mit dem Titel Schafhirte.
Das Leben floss weiter, wie es das immer tut. Heute, gute 50 Jahre nach den herrlichen Klosters Jahren, sind die Erinnerungen erneut wach geworden. Sie waren nie vergessen, immer kostbar, doch zur Seite gestellt auf einem Regal ganz hinten im Zimmer. Sie sind heute genauso farbig und prickelnd wie damals. Doch eine neue Erkenntnis ist nun entstanden:
Sono tempi passati.
Those were the days.
Es war einmal.
Ich liebe diese Erinnerungen. Ich liebe alles daran. Die Sorglosigkeit, das Hotel, das Dorf, die Bergwelt, die Bergluft, den Spaß, das Skifahren, das Tennisspielen, das Wandern, im Silvretta Park sitzen mit einer Cola, das Spielzimmer im Hotel, unsere Gruppe von Jugendlichen, Jürg.
Aber: Es sind die Erinnerungen, die ich liebe. Nicht das, was heute dort ist oder wie die Menschen von damals heute sind.
Ein Schriftsteller hat dies etwa so ausgedrückt: Es ist eine überwältigende Erkenntnis, wenn man sich klar wird, dass man nie mehr in den glitzernden Zeiten der Jugend leben kann.
Und auch das ist so, wie es eben sein muss.
Trotzdem werde ich meinen Lebensabend mit meiner Schwester in Klosters verbringen. Der Bergluft wegen.